Brun Torsvigs „Kritik“

Um es gleich vorweg zu sagen: „Kritik“ ist ein schlechtes Buch. Ja, es stellt sich mir unweigerlich die Frage, wie es überhaupt in dieser Form publiziert werden konnte. Anstatt seinen dünnen Gedankengang derart auszuwalzen, hätte er besser als kurzes Essay in einem Feuilleton untergebracht werden sollen. Ich will nun nicht behaupten, daß alle vorgebrachten Ideen völlig wertlos wären; darüber soll sich jeder selbst sein Bild machen. Es war jedoch sicherlich nicht notwendig, sie in dieser Art an die falsche Form zu verschenken.

Aber zurück zum Inhalt. Der Autor, Brun Torsvig, beschreibt in diesem Werk seine in mehreren Schritten erfolgte Wandlung vom Autor zum Kritiker. Daß er auch in seiner neuen Rolle eigentlich immer noch schriftstellerisch tätig ist, betont er mehr als einmal. Darin sieht er nämlich auch die Legitimation für sein weiteres Tun.

Im ersten Kapitel klagt Torsvig -in einiger Ausführlichkeit- wie schwer doch die Arbeit als kreativer Kopf sei und wie höchst undankbar trotzdem meist die Resonanz der Kritiker ausfalle. Hier gleich mit einem Schwall an Zitaten der Großen Meister aufwarten zu müssen, um die eigene Position zu untermauern, ist, gelinde gesagt, dürftig. Der Autor hat offenbar so wenig Vertrauen in die Überzeugungskraft der eigenen Worte, daß er glaubt, ein Dutzend überkommener Autoritäten auffahren zu müssen, um ihnen den Rücken zu stärken. Vielleicht liegt es auch daran, daß er als Kritiker sonst eher die Position eines Unterstützers (oder noch öfter Gegners) einnimmt und nicht die eines zu Stützenden.

Das mag Torsvig unter anderem dazu bewogen haben, den im zweiten Kapitel beschriebenen ersten Schritt zu tun. Er beschreibt nun, wie er anfing, positive wie negative Kritiken für seine eigenen Stücke selbst zu schreiben. Als Begründung wird genannt, er habe sicherstellen wollen, daß sein Schaffen in dessen voller Komplexität auch dem weniger belesenen Publikum nahegebracht würde. Dem Autor ist in dieser Hinsicht wenigstens zugutezuhalten, daß er seine Profilneurose unumwunden zugibt.

Tatsächlich bleibt der Schaden für die Allgemeinheit eher gering, da Torsvig schon im nächsten Kapitel erzählt, wie er diesen Pfad konsequent weiter beschreitet und letztlich ganz von der gewöhnlichen Schriftstellerei abkommt. Hier findet sich seine vielleicht interessanteste These. Torsvig holt an dieser Stelle etwas weiter aus und beschreibt zuerst seine Faszination von indirekter Darstellung durch Beschreibungen aus zweiter Hand und durch indirekte Rede. Auch hier kann er es leider nicht unterlassen, gleich wieder einen ganzen Strauß an Beispielen von der klassischen Mauerschau bis zu den Erzählweisen des modernen Kinos zu geben. Schließlich gibt er seine Überlegung preis, daß es vielleicht viel interessanter wäre, über ein Werk zu berichten, ohne es jemals geschrieben zu haben – und dessen Ausgestaltung dann dem Geist des Lesers zu überlassen. Hier zeigt sich Torsvigs „praktische Veranlagung“, denn ein Bericht über ein Werk ist ja meist wesentlich kürzer als das Werk selbst und dann oft sogar noch einfacher zu schreiben. Der Autor fasst also den Entschluß, sich von nun an die Hälfte der Arbeit zu sparen. Seiner eigenen Aussage zufolge läßt er seine Bücher seither ungeschrieben und rezensiert sie nur noch. Warum er beim vorliegenden Band eine Ausnahme machen musste, bleibt allerdings unklar. Unzweifelhaft ist aber, daß seine Kritiken ungeschriebener Werke jeweils das eigentliche Endprodukt darstellen. Insofern ist seine Behauptung, er sei nach wie vor als Schriftsteller tätig, durchaus berechtigt.

Im letzten Kapitel berichtet Torsvig voller Stolz und nicht gerade bescheiden, daß sich seit seinem Beschäftigungswechsel nicht nur sein literarischer Ruhm gesteigert habe, sondern auch seine Tantiemen vervielfacht. An diesem Punkt schlägt der Autor plötzlich in eine sentimentale Gefühlslage um und erklärt sein wachsendes Bedauern über die Nichtexistenz seiner wichtigsten Werke. Alles, was nun folgt, kann man wohl im Besten Fall noch als verschroben bezeichnen. Zudem ist es dem ohnehin schon in die Länge gezogenen Text sicher nicht dienlich, auch noch mit so einem, von der eigentlichen Aussage völlig losgelösten, Anhängsel belastet zu werden. Der Autor erzählt nämlich nun, daß er letztlich doch nicht darauf verzichten wollte, seine Werke als tatsächliche Umsetzung seiner Ideen „im Original“ in den Händen zu halten. Er beschreibt, wie er einen Teil des durch die Rezensionen gewonnenen Wohlstandes dazu einsetzt, eine Handvoll junger Literaten anzustellen. Diese würden nun seine diversen Pseudonyme mit Leben füllen – und ihm als Auftragsarbeit die Bücher zu seinen Kritiken schreiben.

Insgesamt kann man „Kritik“ als Kuriosum noch eine gewisse Existenzberechtigung zusprechen, gerade in Anbetracht des koriphäenhaften Status seines Autors. Jedoch wäre ein etwas weniger ausschweifendes Format als das von Torsvig gewählte sicherlich leichter verdaulich gewesen, auch im Hinblick auf seine etwas selbstgefällige Art. Trotzdem bietet das Buch noch einen interessanten Einblick in die Psyche eines der bekanntesten „Macher“ des aktuellen Kulturbetriebs.

Brun Torsvig



Hannover, 20.11.2000


© 2000 Jan Torben Weinkopf